Spurensuche unter Wasser: Elektrobefischung an der Isen
Ein kühler Morgen Ende September. Nebel liegt noch über den Wiesen, die Isen schimmert im ersten Licht des Tages. Am Ufer stehen Gummistiefel an Gummistiefel: Das Team bereiten sich auf eine besondere Aktion vor – die Elektrobefischung. Durch ein elektrisches Feld schwimmen Fische in bestimmten Abständen zur Anode und sind kurzzeitig leicht betäubt, dadurch können sie gezählt und erfasst werden. So entsteht eine Stichprobe vom fischbiologischen Leben unter der Wasseroberfläche.
Diese Bestandsaufnahme ist der Auftakt zu einem Projekt, mit dessen Hilfe ein Teilstück der Isen renaturiert und durchgängig gestaltet werden soll: „FreiflISEN“.
Warum die Isen jetzt neue Freiheit bekommt
Alles begann mit einer Anfrage beim Wasserwirtschaftsamt (WWA) München: Zwei Triebwerksbetreiber aus Dorfen wollten ihre Wasserkraftrechte stilllegen – der Betrieb lohnte sich für sie nicht mehr. Das Wasserwirtschaftsamt München griff die Idee auf. Denn in Fällen, in denen Betreibende ihr Wasserrecht aufgeben wollen und dafür an die zuständige Behörde herantreten mit Bitte um Unterstützung bei der Renaturierung des Gewässers, kann ihnen die Behörde unter bestimmten Umständen unter die Arme greifen.
In der Annahme, dass weitere Wasserkraftbetreiber in einer ähnlichen Situation sein könnten, bot das Wasserwirtschaftsamt München weiteren Betreibern an, sie bei der Herstellung der Durchgängigkeit oder Aufgabe ihrer Anlagen zu unterstützen. Im Februar fand dazu eine Informationsveranstaltung statt, im April folgten Vor-Ort-Besuche bei interessierten Betreibern. Das Ziel: Die ökologische Durchgängigkeit der Isen auf einer Strecke von rund 30 Kilometern zwischen dem Markt Isen und der Landkreisgrenze Erding-Mühldorf wiederherzustellen.
Um das Ziel zu erreichen, unterstützt das WWA nicht nur private Triebwerksbetreiber, sondern gestaltet sukzessive auch selbst Barrieren um, die in Staatshand liegen. Ein ambitioniertes Vorhaben: Rund 20 Sohlschwellen und 30 Wehre müssen durchlässig gemacht werden, durch Rück- oder Umbau der Barrieren bzw. den Bau von Fischtreppen oder Umgehungsgerinnen. Fünf von 15 Wehrverantwortlichen haben bereits signalisiert, kooperieren zu wollen.
Die Isen ist im genannten Abschnitt ein Gewässer 2. Ordnung. Damit liegt ihre Unterhaltungslast grundsätzlich beim Staat, in Abschnitten mit Wasserkraftwerken jedoch bei den jeweiligen Betreibenden. Im Projekt FreiflISEN arbeiten viele Akteure zusammen, um auf einer 30 Kilometer langen Fließstrecke Barrieren zu überwinden bzw. zurück zubauen: Das WWA München bietet den privaten Betreiber fachliche Unterstützung bei der Herstellung der Durchgängigkeit an.
Zudem kooperiert es mit dem WWF Deutschland, der das Vorhaben über sein Projekt „Lebendige Flüsse“ unterstützt, welches maßgeblich von der Deutschen Postcode Lotterie finanziert sowie von der PSD Bank München und der Heizungsfirma Vaillant unterstützt wird. Private Betreiber können für den Rückbau eine Teilfinanzierung aus diesem Projekt-Fonds erhalten. Begleitet wird das Projekt außerdem vom LFV Bayern und dem LfU, die das fischökologische Monitoring organisieren.
Mit Strom durchs Wasser – die Elektrobefischung
Die Isen erreicht im Projektabschnitt nicht den von der Wasserrahmenrichtlinie geforderten guten Zustand. Ein Grund dafür ist der Zustand der Fischfauna, der mit „mäßig“ bewertet wird. Hier werden also derzeit nicht mehr die Fischarten gefunden, die natürlicherweise vorkommen sollten, auch weil sie auf Grund der vielen Barrieren nicht mehr wandern können.
Um die Wirkung des Projekts messbar zu machen, braucht es Vergleichswerte. Deshalb findet jetzt, im Herbst 2025, eine erste Befischung und im Frühjahr eine zweite Befischung statt. Zwei weitere Erfolgskontrollen folgen in den Jahren nach der Herstellung der Durchgängigkeit.
Die Methode klingt technischer, als sie aussieht: Mit einem tragbaren Gerät oder vom Boot aus wird ein schwacher Strom (8KW) ins Wasser geleitet. Die Fische reagieren darauf kurzzeitig, werden eingesammelt, bestimmt, gezählt – und schwimmen dann unversehrt weiter.
Die Strecken für die Befischung sind genau festgelegt: jeweils vier Abschnitte à 300 Meter in Lengdorf und in Dorfen. So können die Ergebnisse später verglichen und Veränderungen sichtbar gemacht werden.
„Freie Flüsse sind Lebensadern“, sagt Doreen Detzner, Referentin Fließgewässer, WWF Deutschland. „Und Barrieren sind für Fische wie Mauern. Mit diesem Projekt öffnet sich ein 30 Kilometer langer Korridor für die Natur.“
Wer profitiert?
Besonders spannend wird es, welche Arten sich hier künftig wieder ausbreiten. Leitarten der Isen sind Bachforelle, Äsche, Nase sowie Barbe. Sie brauchen freie Wanderwege, um ihre Lebenszyklen zu vollenden. Von der Herstellung der Durchgängigkeit profitieren aber nicht nur Fische – auch Muscheln, Insekten und Pflanzen, die an intakte Flussdynamik gebunden sind, gewinnen Lebensraum zurück.
„Projekte wie FreiflISEN zeigen, wie wichtig intakte Fließgewässersysteme für Mensch und Natur sind. Dieses Gewässer hat die Chance wieder eine echte Gewässerperle zu werden. Wenn Fische wieder wandern können, profitieren nicht nur einzelne Arten – das ganze Ökosystem wird lebendiger und robuster. Jeder Abschnitt, den wir öffnen, ist ein Gewinn für die Isen und alle, die hier leben.“
— Katharina Amann, Referentin Fischerei, Gewässer- und Naturschutz, LFV Bayern.
Ein Stück Natur vor der Haustür
Die Isen ist kein ferner Fluss, sondern Teil unserer Landschaft vor der Haustür. Sie prägt das Bild zwischen dem Markt Isen und der Landkreisgrenze Erding-Mühldorf, ist Heimat für unzählige Tiere – und auch für uns Menschen ein Raum der Erholung. Mit „FreiflISEN“ soll sie ein Stück ursprünglicher werden und stellenweise wieder frei fließen können, was ihr über Jahrzehnte genommen wurde.
Noch ist es ein langer Weg: Fünf von fünfzehn Betreibenden haben bisher zugesagt, ihre Anlagen aufzulassen. Aber schon jetzt ist klar – dieses Projekt ist ein Meilenstein.
Wenn der Nebel an diesem Herbstmorgen über dem Wasser liegt und die ersten Fische vorsichtig in den Netzen zappeln, dann spürt man: Hier beginnt etwas Neues.